Sonntag, 5. Juli 2015

"... sag mal, wie ist das so mit MS?"



Es ist ja schon mal was Gutes, wenn einem ein Freund diese Frage stellt, weil es zeigt, dass er sich Gedanken macht. Aber was antwortet man darauf?

Dieses Gedicht, das mir in einer dunkleren Episode der Krankheit einfiel, ist meine Antwort.

Was wäre, wenn immer Nacht wär?


Für euch ist es Gewissheit,
dass dem Dunkel der euch fest umklammernden Nacht,
die euch in schweißgebadeten Träumen festhält,
der nächste Morgen folgt,
mit seinerbKulisse aus Vogelstimmen,
oder reflektierenden Sonne in einem Meer aus gefrorenen Wassertropfen.


Es ist die Gewissheit des nächsten Morgens,
die es euch erlaubt, für die Stunden des Lichts,
die beklemmende Dunkelheit zu vergessen,
die es euch ermöglicht, selbst die Nacht
zum Tage zu machen.


Doch was, wenn ewig Nacht wär?


Was, wenn euch jede Sekunde des Tages,
selbst im Schein der Sonne, 
in Dunkelheit ersticken würde,
erinnernd an die bevorstehende ewige Nacht der Nächte.

Was wenn ihr, ohne die Hoffnung auf den nächsten Morgen,
nicht nur im Dunkel der sonnenleeren Grabesstille der eisig kalten Nacht,
erinnert würdet, an die Endlichkeit des Seins.


Was wenn die immerwährende Hoffnung auf die lebensspendende Sonne,
die beständige Gewissheit, der Dunkelheit zu entkommen,
zumindest bis die Nacht zum letzten Mal auf Erden,
ihre kalte Hand um euch legt,
erstickt würde durch den dunklen, alles umhüllenden Nebel, der der Nacht vorausgeht? 

Was, wenn die Nacht euch nicht mehr losließe, in jeder unendlich langen Sekunde,
wenn die Nacht euch die Gedanken,
mit Schwaden aus dunklem Rauch ersticken würde und euch allgegenwärtige Schmerzen dazu drängten,
selbst das hellste Licht nur in tiefstem schwarz zu erkennen?


Was wenn ihr euch mit letzter Kraft an jedem Sonnenstrahl festzuhalten versuchtet in eurer, sich immer mehr ausbreitenden, Verzweiflung,
als wolltet ihr den lauwarmen Regen mit bloßen Händen festhalten?


Was wenn ihr bei jedem Atemzug,
bei jedem Schlag eures Herzens,
erinnert würden an den allgegenwertigen Zerfall eures  Körpers,
sich die Gedanken langsam wie zäher Honig,
durch die Wahrnehmung eures Lebens bewegten,
sich die Zeit anfühlte,
als würde sie mit einer urwüchsigen Kraft, zusammengequetscht durch die sich ausbreitende Dunkelheit?

Was, wenn ihr jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde und jeden Flügelschlag einer Fliege,
erinnert würden, dass es Nacht ist?

Was wenn die letzten  Stunden, Sekunden und Augenblicke am Ende eines jeden lichtdurchfluteten Lebens,
ersetzt würden durch Jahre der Dunkelheit
und des unwiederbringlichen Zerfalls ständig gewahr?

Was wenn das Sterben begonnen hätte,
bevor das Leben seine wohlige Wärme ausbreiten konnte,
endend, langsam, schleichend und mit zerstörerischer Gewissheit,
so wie ein Strom glühender Lava unaufhaltsam zu Tal drängt?.

Was wenn sich glühende Ranken Stacheldrahts,
wie junger Wein um eure Glieder legten
und eure Augenlider vor Schmerz zusammengepresst, jedes Licht ausgesperrten, wie in der Dunkelheit eines kalten Grabes?

Was wenn die Wärme der Sonne,
schwer wie Tonnen von Granit,
euch in die weiche Erde drückten,
jedes Licht erstickend. 


Ja was, wenn es ewig Nacht wär?

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