Montag, 28. Dezember 2015

Tropicana, Cohibas und Mulatten




...  Nachdem ich einige Zeit mit den "alten Herren" mitten in Havana trinkend und lachend zusammen gesessen hatte, wurde es leider Zeit mich zurück auf den Weg zum Schiff zu machen. Schließlich wollte ich mich noch auf den Abend im "Tropicana" vorbereiten und musste auch noch den Weg zum Hafen finden. 

Also verabschiedete ich mich mit freundlichem Handschlag von meinen neuen Bekannten und sie spielten für mich ein letztes Lied, das langsam immer leiser wurde und schließlich verklang. 

Der Hafen war schnell gefunden und ich begab mich auf meine Kabine, um mich noch etwas hinzulegen, obwohl ich keinen Schlaf finden wollte.

Zu viele Eindrücke gingen mir durch den Kopf und die Musik der Strassenmusiker hallte immer noch in meinen Ohren.
Bilder von Che Guevara, alten amerikanischen Limosienen und der unvergleichlichen, flimmernden Luft der Karibik liefen vor meinem inneren Auge ab. 

Schließlich wurde es Zeit mich aufzumachen und ich richtete mich zu einer kubanischen Nacht im "Tropicana".  20:00 Uhr war Abfahrt bei den Bussen vor der Anlegestelle.  Meine Musikerfreunde hatten "Dienst"  für die Zurückgebliebenen und verabschiedeten sich von mir mit dem Auftrag ihnen zu berichten und so ging es wieder in einen der mit bunten Schildern gekennzeichneten Busse. 
Nach kurzer Fahrt kam wir schließlich am Tropicana an.
Ich weiß nicht ob ihr das auch kennt, wenn man zum ersten Mal irgendwo ankommt und die Vorstellung sich so gar nicht mit der Realität deckt?
Ein riesiger Busbahnhof voller Reisebusse erwartete uns und Schlangen von Menschen wurden durch Absperrungen gezwengt, die die Massen in drei geordnete Schlangen teilten, um sie anschließend, nach der Kartenkontrolle, wieder in einem Pulk auszuspucken. 
Ich befand mich nun im Inneren eines der berühmtesten Nachtclubs der Welt und was ich zu sehen bekam erinnerte mehr an einen bayrischen Biergarten als an die Mondänität eines berühmten Vergnügungstempels der Reichen und Schönen. 
Dort wo ich gedeckte Tische mit Champagnerkühlern erwarte hatte standen Biertische mit Coladosen und die Ober in schwarzem Livree und weißen Handschuhen, waren missmutig dreinschauende Platzanweiser in Strassenkleidung.
Einzig die überall stehenden riesigen Palmen zeigten mir ansatzweise wo ich mich befand. 


Schließlich war ich mit meinen Mitreisenden an eine der "Bierbänke" verteilt und eine ältere Kubaberin stellte wortlos und ungefragt lauwarme Coladosen und vergilbte, in Folie eingeschweißte Getränkekarten auf den Tisch. 
Ohjeh... 
Wieder einmal fand ich mich inmitten der Errungenschaften des modernen Massentourismus wieder. 

Neunzig Euro hatte ich für die Karte bezahlt,... mit einem Tischgetränk und Busfahrt allerdings. Wenn das so weiter ging, dann hatte ich also 3€  für eine Busfahrt, sagen wir 30€ für ein bisschen Varieté und 57€ für eine Dose lauwarmes Coke bezahlt. Wäre ich doch besser bei den Musikern in der Stadt geblieben und hätte mich mit ihnen gemeinsam gepflegt mit kubanischem Rum die Kante gegeben.
Zum Glück kam es aber doch noch anders.

Inzwischen war es halb zehn und plötzlich wurden die grellen Strahler, die bislang die Szenerie beleuchtet hatten dunkel und nach wenigen Sekunden erschien wie aus den Nichts ein einzelner bunter Lichtkegel, der sich mühsam durch künstlichen Nebel bohrte, auf der bis jetzt unscheinbar schlummernden runden Bühne. 

Ein Trommelwirbel von Bongos und Becken begleitete eine einzelne Tänzerin, die hinter dem sich senkenden Nebelschwaden auftauchte. 

"Welcome to Tropicana. We hope you will enjoy a Night of Karibik in famous Cuban nightclub in wonderful la Habana "  sagte die in einem glitzernden Salsa Kostüm mit riesigem Kopfschmuck bekleidete Schöne. 

Ein letzter lauter Paukenschlag durchdrang mit Gewalt
Was dann losbrach war ein dreistündiges Feuerwerk aus karibischen Klängen und Tanzdarbietungen, das den Legenden die sich um das Tropicana ranken endlich ein Gesicht gab. 


Als dann auch noch eine schöne junge Kubanerin in knappem Kostüm mit freundlichem Lächeln eine Flasche weißen Rum mit einigen Gläsern auf den Tisch stellte, konnte die Nacht unter dem Himmel Havannas beginnen. 

Jetzt machten sogar die Coladosen Sinn...  Cuba liebre. 

Nachdem ich heute auch noch weiss, was eine Dose der klebrigen US-Brause im durch das Embargo abgeschnittenen Kuba kostet, war diese Dose lauwarmen Gesöffes wertvoller als ein Dom Perignon und mit den Rum, im Verhältnis eins zu eins, auch noch genießbar. 

Erst jetzt bemerkte ich, dass rings um und uch über den Sitzbänken überall Bühnen und Stege gebaut waren, die sich nach und nach immer mehr mit knapp bekleideten Tänzerinnen füllten, die ihre jungen Körper in Salsarythmen schüttelten. 

Gegen ein Uhr morgens war das Spektakel zu Ende und der Inhalt der runden Freiluftarena ergoss sich wieder nach Aussen und verteile sich auf die wartenden Busse. 

Obwohl die Musik schon lange nicht mehr erklang, vibrierte die Luft immer noch auf seltsame Weise im Salsatakt. 

Wieder auf dem Schiff angekommen begab ich mich zuerst zu einem der beiden rund um die Uhr geöffneten Restaurants um noch eine Kleinigkeit zu essen. 

Dort traf ich die Jungs, die nach getaner Arbeit auch noch Hunger und vor allem Durst zu haben schienen. 

Peter erzählte, dass er über das Internet Kontakt zu einem Musikerkollegen geknüpft hätte, der in einem kleinen Club hier in Havana spielen würde. Da in der kommenden Nacht geplant war, dass kubanische Tänzer und Musiker das Showprogramm auf dem Schiff beschreiten silkten, hatten die Jungs da frei und wir beschlossen, den Club gemeinsam zu besuchen, in dem Pauls Kontakt "Anchel" spielte, um echte kubanische Musik zu erleben. 

Nach ein paar kleinen Bieren verabschiedeten wir uns und ich begab mich müde in meine Kabine um mir ein paar Stunden Schlaf zu gönnen.

Hinter meinen zum Schlaf geschlossenen Augen tanzten noch lange die vibrierenden jungen Körper im Salsatakt, bis ich schließlich in liefen Schlaf sank.







Donnerstag, 24. Dezember 2015

Frohe Weihnachten und ein super Jahr 2016

All rights by original artist

Merry Christmas and a marvelous year 2016 for everybody who's reading this.

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Alder, weiss ich wo deine Haus wohnd

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Copyright blogkeepcalmandsmile.blogspot.com

Also Sachen gibt es, die gibt es eigentlich gar nicht. 

Da weiß man nicht mehr, ob man sich ärgern soll, oder sich doch besser köstlich amüsiert. 

Zuerst muss ich euch dazu einen der Protagonisten meines kleinen Erlebnisses vorstellen,...
mein Sturmfeuerzeug. 

Eigentlich ist es mehr so eine Art kleiner Bunsenbrenner, mit einer ca. 5cm hohen, fast unsichtbaren Flamme. 

Da ich an diesem Freitag Abend zu einem vierzigsten Geburtstag eingeladen war, fuhr ich über Passau, um dort in der Stadtgallerie noch das vorbestellte Geschenk abzuholen.

Die junge Verkäuferin die mich bediente, war noch nicht ganz mit dem Verpacken fertig, so dass ich mich entschloss, vor dem Eingang zu der Einkaufspassage noch eine Zigarette zu rauchen. 

Die Eingangstüren öffnen hier nicht automatisch, können aber über Schalter, gekennzeichnet mit einem Rollstuhlzeichen, geöffnet werden. 

Diese Schalter sind allerdings so clever angebracht, dass man sich als Rollstuhlfahrer beeilen muss, damit die Tür nicht schon wieder schließt, bevor man hindurch fahren konnte. 

Ich drücke also die Taste und fuhr dann schnell um den aufklappenden Türflügel herum durch die sich auftuende Öffnung. 

Zur gleichen Zeit versuchten zwei junge Männer um die zwanzig, gefolgt von drei Frauen etwa im selben Alter, die Gunst zu nutzen und drückten sich an mir vorbei durch die Tür, wahrscheinlich weil sie sich die Arbeit sparen wollten, diese manuell zu öffnen. 

Dem Einen, klein, dick und mit seltsamen Zöpfchen mitten auf dem Kopf, ausweichend, fuhr ich dem Anderen, noch kleiner, dünn, mit an den Seiten kurzen und auf dem Kopf steil nach oben gestellten Haaren, mitten über den Fuß. 

"Hey,  Alder, kanns du ned aufpassen" rief er in diesem unsäglichen Straßenslang 

"Aufpassen muss ich nur auf kleine Kinder und schwangere Frauen " entgegnete ich und fuhr hinaus, um meine Zigarette anzuzünden.

Kaum hatte ich mein Plätzchen gefunden und wollte mir selbst Feuer geben, kam der verkappte Rapper wieder um die Ecke und baute sich vor mir auf. 

Jetzt konnte ich mir die Frisur und den Träger besser anschauen.
Er war klein, schmächtig, und offensichtlich von südländischer Herkunft. Ich tippte auf irgendwas zwischen Bosporus und Mittelasien herum.
So stand er also vor mir, der ich im Rollstuhl sitzend etwas, wenn auch nicht viel, nach oben schauen musste. 

"Ey, Alder...  Magst du Ärger, hä?
sagte er laut, mit einem Seitenblick auf seine Begleiter, die ihm mittlerweile gefolgt waren... 

Inzwischen hatte sich mein Körper in diesen seltsamen Modus geschalten, in welchem das einschiessende Adrenalin ein leichtes Zittern in die Beine schießen lässt und sämtliche Sinne schärft, während er gleichzeitig auf erhöhte Wachsamkeit stellt.
Ohne eine Antwort stand ich auf, immer noch die unangezündete Zigarette im Mund und das Feuerzeug in der Rechten. 

Ich überragte den Bushido-Verschnitt um Weiten und seine, mit was auch immer steil nach oben geklebten Haare, erreichten gerade mal meine Nasenspitze, während er wohl meinen Adamsapfel beobachten musste.

Spürbar verunsichert versuchte er seiner Stimme besonderen Nachdruck zu verleihen.

"kannst du Entschuldigung? " presste er hervor und gab seiner Forderung, Nachdruck indem er mich mit flacher Hand anstupste, so dass ich wieder in meinem, zum Glück hinter mir stehenden, Rollstuhl zu sitzen kam.

Noch bevor er sich über diesen, wohl unerwarteten, Erfolg richtig freuen konnte, stand ich auch schon wieder vor ihm.
Es wundert mich immer wieder, welche Reserven der Körper in Extremsituationen aktivieren kann um Aktionen auszuführen, die man willentlich nie erreichen würde.

So auch jetzt. 

Inzwischen hatte sich schon eine kleine Traube Neugieriger versammelt, wohl um sich durch das kroteske Bild den Feierabend etwas spannender zu gestalten. 

"Machst du jetzt Entschuldigung" forderte "Mini-Bushido", durch seinen Erfolg hörbar gestärkt und durch die Neugierigen zusätzlich angetrieben, jetzt mit deutlich festerer Stimme. 

...Es gibt ein paar Dinge die ich noch nie leiden konnte und dazu gehört, wenn Fremde mich unaufgefordert berühren.
Seit ich im Rollstuhl sitze empfinde ich dies doppelt respektlos und entwürdigend.
Es macht mich wütend und auch durchaus aggressiv. 

"Nimm deine Finger weg kleiner Mann, sonst passiert am Ende etwas, was wir beide nicht wollen" gab ich ihm mit düsterem Blick zurück, während ich mir endlich die Zigarette anzündete. 

Kaum ausgesprochen, spürte ich schon seine Faust auf meinem linken Brust Muskel.
Auch wenn er dieses Mal die Faust benutzt hatte, war ich vorbereitet und mit genügend Wut ausgestattet um standhaft zu bleiben. 

In der rechten Hand mein Sturmfeuerzeug haltend ging jetzt alles schnell und automatisch. 

Der rechte Daumen drückte nach unten und die unsichtbare Flamme schoß mit einem Zischen heraus, während die Hand die es festhielt einmal an der Hinterseite der "Frisur" meines Angreifers entlang fuhr. 

Ich weiss bis heute nicht, mit welchem Mittel er seine Haare behandelt hatte, aber ich weiss jetzt,...  es war leicht entzündlich....  Sehr leicht... 

Während er wild gestikulierend auf seine Haare einschlug, hatte eine Stichflamme in Sekundenbruchteilen das Meiste seiner "Frisur" abfefackelt und ihn schlagartig noch kleiner gemacht. 

"Ich rufe Polizei... " schrie er mit Tränen in den Augen..." 

"Des machst, Birschel, dene erzähl mer scho wosd fir einer bist... " rief ein älterer Herr unter den Zuschauern. 

Erst jetzt, als sich mein Adrenalin senkte, hörte ich den Applaus der kleinen Ansammlung.
Fast hätte der Rapper-Verschnitt mir leid getan, der weinend wie ein kleiner Junge, begleitet vom hämischen Gekicher seiner Begleiter von Dannen zog. 

So hatte ich das weder gewollt, noch mit Vorsatz gemacht.

Andererseits wird er sich in Zukunft sicher überlegen, ob er wieder einmal einen Rollifahrer als leichtes Opfer betrachtet.

Dienstag, 15. September 2015

Wieder da aus der Anstalt

 Behandlungszentrum Kempfenhausen für Multiple Sklerose Kranke gemeinnützige GmbH header image 1
Wieder zurück. Zurück aus der MS-Klinik am Starnberger See. 

Es war mein 25ter Aufenthalt seit 1997. 

Irgendwie ist diese Klinik damit zu etwas wie meiner zweiten Heimat geworden. Erschreckend zwar, doch leider Realität. 

Ich kannte jedes Eck und bemerkte jede Veränderung, die es in den Jahren gegeben hat. 

Ich begrüßte die Menschen die dort arbeiten wie alte Bekannte und wurde ihrerseits begrüßt wie Einer der zurückkehrt.

Schön und erschreckend zugleich.

Ich habe es vor Jahren schon aufgegeben, mich endgültig von dieser Klinik verabschieden zu wollen, wissend, dass mich die MS immer wieder dorthin zurückspühlen würde. 

Zu sehr Realist um Wunder zu erwarten, weiss ich doch, dass es bislang immer gelang, die Symptome zu lindern die sich, of still und heimlich, eingeschlichen hatten.

Manchmal mehr, manchmal weniger ausgeprägt
.
Über die Zeit haben sich auch Freundschaften gebildet und ich habe genauso interessante Menschen kennen lernen dürfen, wie auch Andere auf die ich ebenso gut hätte verzichten können.

Kliniken sind Ghettos in denen Menschen zusammen kommen, die oft nichts gemeinsam haben als eben krank zu sein.

Eine Klinik in der man nicht geheilt werden kann, sondern nur bestmöglich behandelt, führt auch dazu, dass man immer wieder für eine kurze Zeit die selben Menschen trifft und dabei sehen muss, wie die Erkrankung deren Leben beeinträchtigt

Es macht mich froh, wenn ich sehe wie es manchen davon besser geht und es macht mich traurig, wenn ich sehen muss wie andere immer mehr zerfallen. 

Bildergebnis für r.i.pUnd manchmal, manchmal erfahre ich dann , dass jemand den ich lange kannte den täglichen Kampf gegen die MS verloren hat.

Dani, R. I. P.  es war eine Freude dich kennen zu dürfen. 

 
Dieses Mal war ich fast zwei Jahre nicht mehr in der MSK gewesen, war zwischenzeitlich in eine tiefe Depression gefallen, habe mir daraus heraus helfen lassen und versuchte mein Leben wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen, im ständigen Kampf mit Krankenkasse,Rechnungen von Ärzten, Kliniken und Kostenträgern. 

Das Gehen war zusehends beschwerlicher, dafür die Schmerzen immer stärker geworden,die gnadenlose Erschöpfbarkeit übermächtig und die Augen zeigten zum zweiten Mal seit 20 Jahren Doppelbilder. 

Also überwies mich mein Neurologe in die Klinik. 

Und das war auch gut so. 

Nach fünf Wochen intensiver Krankengymnastik hat sich das Gehen deutlich stabilisiert, die Doppelbilder verschwanden nach einer Cortison Gabe und die kognitiven Einbußen stellten sich mehr als Folge der Depression heraus.

Auch die allgegenwärtigen Schmerzen konnten mit angepasster Medikation auf ein erträglicheres Maß gesenkt werden.

Lediglich die Erschöpfbarkeit ließ sich nicht wirklich beeinflussen.

Es ist auch schwer, eine Mischung zwischen der Dosis der schmerzsenkenden Medikamente und der, durch diese naturgemäß ausgelösten höheren Müdigkeit, zu finden.

Alles in allem ein für mich medizinisch erfreuliches Ergebnis, das ich wohl grossteils den kompetenten Ärzten und Therapeuten zu verdanken habe.

Andererseits hatte ich in diesem Aufenthalt mehr als sonst mit den Schicksalen zu kämpfen die mir auf jeden Schtitt begegneten.(Naja eigentlich bin ich ja gerollt)

Da waren auf der einen Seite sehr junge Mitpatienten, die zum ersten mal in der MS-Klinik waren, auf der anderen Seite solche, die ich schon mehr oder weniger lange kannte und die teils erschreckend stark abgebaut hatten. 

Die Einen, der jüngste war gerade mal 16 Jahre alt, blickten mit einer Mischung aus bedrückender Angst und dem Drang zu helfen auf die vielen Rollstuhlfahrer, die Anderen saßen in Pflegerollstühlen, kaum in der Lage an ihren Zigaretten zu ziehen, die man ihnen an den Mund halten musste, geschweige denn in der Lage, sich zu artikulieren. 

Die Einen, durch die Diagnose erst kürzlich aus ihrer Lebensplanung gerissen, die Anderen schon mit mehr als einem Bein über einem Abgrund hängend , angstvoll darauf hoffend, dass sie sich nicht in eine atmende Stange Sellerie verwandeln.

Eine Frage bohrte sich immer tiefer in mein Bewusstsein: "Wieviel sollte ein Mensch ertragen müssen und wo ist meine eigene Grenze des Erträglichen?"

"Die Würde des Menschen ... " steht in unserem Grundgesetz. Doch wo hört diese auf?
  


Trotzdem überwogen auch bei diesem Aufenthalt wieder die positiven Eindrücke.

Ich durfte wieder sehr interessante Menschen kennenlernen und habe Andere wiedergetroffen und neu erfahren, warum ich sie schon immer mochte. 

Ihr wisst schon Wen ich alles damit meine. 

Allen Betroffenen wünsche ich die Kraft, mit dieser heimtückischen Krankheit mutig umzugehen und das Glück, von ihren heimtückischsten Auswirkungen verschont zu bleiben. 

Take care and live every moment with all the deepness of your soul.

Sonntag, 2. August 2015

... Moment, ich verbinde...

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Karikatur: Mario Lars

Es ist zwar schon ein wenig her, aber nichts desto weniger, eine wahre Geschichte. 

Anlässlich eines bevorstehenden Urlaubes auf Mallorca, es sollte mein Erster auf der Insel werden, wollte ich schon im Vorfeld einen Mietwagen buchen. 

Normalerweise kein Problem. 

Allerdings brauche ich einen Wagen mit Handbedienung, also Gas und Bremse mit der Hand zu bedienen, gerade so wie bei meinem privaten PKW. 

Um nicht vor Ort die wertvolle Zeit mit der Suche zu verbringen, sollte alles schon vor dem Abflug erledigt sein.
Da ich ADAC Mitglied bin, dachte ich mir, dass ich am besten bei den Spezialisten in München anrufe, um unkompliziert einen behindertengerechten Mietwagen zu buchen.

Folgende Kommunikation muss man sich dazu vorstellen. 

"allgemeiner deutscher Automobil Club, Guten Tag, was kann ich für sie tun? "

" Guten Tag, ich möchte gerne für den Urlaub einen Mietwagen buchen, da gibt es nur... "

" Moment bitte...  Beep... Beep "

Dann fürchterliche Musik von einer siebziger Jahre Bontempi Orgel. 

" Müller, ADAC,  was kann ich für sie tun? "

Immer noch ganz belämmert von der grausamen Musik. 

" Ähem,. .  Ich wollte gerne einen Mietwagen mit Handsteuerung buchen... "

" Mietwagen?  Ja da sinds hier ganz falsch. Ich verbind sie mol weiter "

und wieder dödeld die Musik, bis sich die Dame der Zentrale wieder meldet

" allgemeiner... "

"..   Ja, ich weiß schon, wir hatten eben schon gesprochen.
Irgendwie war ich da falsch,...  Ich wollte einen Mietwagen..." 

"Moment, ich verbinde... "

Ich summte die Melodie schon mit, was es aber auch nicht wirklich besser machte... 

" Lehmann, was kann ich für sie Tun? "

"..  also auf jede Fall zuhören, bevor sie mich weiter verbinden..  Ich brauche einen Mietwagen mit Handsteuerung..."
 
"... Das haben die Alle.. "

"... schon klar, ich meine behindertengerecht, mit Handgas und Bremse" 

"Ok, und in welcher Stadt. "

" Sollier, Mallorca "
 
" ja, da sind sie bei mir falsch, ich mache nur das Inland...  also in Deutschland...  Aber ich verbinde sie... "

"Haaalt, Moment..."  aber schon lullt mich wieder die eintönig dahinsäuselnde Musik ein... 

"allgemeiner deutscher.. "

" Ja jetzt bin ich ja schon wieder bei Ihnen gelandet. Es war wieder die falsche Stelle.
Ich möchte im Ausland, für den Urlaub einen Mietwagen buchen, behindert... "

" Moment, ich verbinde... "

und wieder hing ich in der unsäglichen Warteschlange, überlegend, ob so ein Mietwagen überhaupt wirklich notwendig ist. 

" ADAC - Reisen, Gruber, was kann ich für sie tun? "
" Also, ich möchte für meinen Mallorca Urlaub einen Mietwagen buchen... "

" Wann wollen Sie denn reisen? "

" Nächstes Wochenende geht's los "

" Also da muss ich erst mal schauen, ob so kurzfristig noch Zimmer frei sind... "

" wieso Zimmer, ich möchte einen Mietwagen, Zimmer habe ich schon... "

" na dann sind sie hier falsch, wir bieten Reisen an. Mietwagen sind woanders... "

"..   Ja, und dorthin verbinden Sie mich bitte...  aber direkt...  nicht über die Zentrale.." 

"...  Muss ich mal schauen ob das geht... "

Und wieder bohrt such die monotone Melodie in meinen Gehörgang 

" allgemeiner deu... "

" jetzt bin ich ja schon wieder bei Ihnen. So langsam komme ich mir vor wie der Buchbinder Wanninger...
ICH WILL EINEN MIETWAGEN MIT BEHINDERTEN STEUERUNG FÜR MALLORCA BUCHEN. Ich habe schon ein Hotel,...  Ich brauche NUR den Mietwagen. Und das im Ausland, Mallorca, verstehen Sie? Spanien, Balearen! "

" Also, ich bin ja nicht blöd, ich habe sie schon verstanden. Wollen Sie jetzt verbunden werden, oder nicht? "

" Ja sicher, aber mit der RICHTIGEN Abteilung...  MIETWAGEN, HANDSTEUERUNG, MALLORCA "

... Dödeldudödeldudidel... 

" Huber, was kann ich für sie tun...? "

" ich möchte gerne einen Mietwagen mit behindertengerechter Handsteuerung für meinen schon gebuchten Mallorca Urlaub mieten. ".
 
" ja, sowas gibt es. Aber leider nicht bei mir. Sie sind in der Abteilung für KFZ Versicherung gelandet.
Mietwagen gibt es woanders.
Am besten ich verbinde sie mit der Zentrale, die kennen sich aus "

BEEP, BEEP...


Dienstag, 28. Juli 2015

Kabelbrand im Zentralrechner

Gute Vorsätze sind ja so eine Sache. Erst nimmt man sie sich, um sie dann auch wieder über Bord zu werfen. 

Mein guter Vorsatz beim Start dieses Bloggs war es, euch mit meiner Krankheits- und Lebensgeschichte zu verschonen. 

Tja, Pech gehabt, jetzt kommt sie doch. 

Der Grund für diesen Sinneswandel ist, dass ich die letzten Wochen wieder vermehrt Kontakt mit Menschen bekommen habe, die erst vor kurzem die Diagnose Multiple Sklerose bekommen haben, so wie ich vor...  mittlerweile 21 Jahren.

Erschreckend, wie lange das schon her ist. Fast die Hälfte meiner Lebenszeit ist inzwischen mit MS belegt. 

Also bleibt euch jetzt nur meine höchst eigene Geschichte zu hören, oder es genauso einfach zu lassen, indem ihr diese Seite verlasst. 

Ist doch toll, wieviel Freiheit man hat. 

In diesen zwanzig Jahren habe ich naturgemäß viele Mitpatienten kennen gelernt, und damit auch, wie unterschiedlich mit der Diagnose und der Krankheit MS umgegangen wird. 

Jeder geht dabei seinen eigenen Weg und das ist auch gut so.
Was ich euch hier schreiben kann ist nur meine persönliche Geschichte, aus der ihr, so ihr denn wollt, eure eigenen Schlüsse ziehen könnt.
Ich erhebe dabei keinerlei Anspruch darauf, dass meine Geschichte eine typische ist,  denn dafür war ich selbst unter Gesunden wohl immer zu untypisch. 

Ausserdem hat sowieso jeder Mensch seine eigene Geschichte, mit Höhen und mit Tiefen, mit Rosen und mit Dornen. 

Jeder kämpft mit seinen eigenen Dämonen und was für den einen Wasser ist für den nächsten Feuer.
Doch vielleicht kann genau deshalb , für den Einen oder Anderen, meine Geschichte Denkanstoss für den eigenen Umgang mit einer solch lebensverändernden Situation geben. 

Natürlich werde ich euch nicht meine ganze Lebensgeschichte erzählen. Nicht etwa, weil ich denke ich würde euch damit langweilen, sondern, weil euch vieles einfach nichts angeht. 

Andererseits muss ich ein paar Dinge erwähnen, da diese mein Handeln an sich und meinen Umgang mit der Krankheit im Speziellen stark beeinflusst haben.

Deshalb fange ich einfach mal ganz von vorne an. 

Gebohren und aufgewachsen in den Sechzigern und Siebzigern in Oberndorf am Neckar, hatte ich eine unbeschwerte, wenn auch in heutigen Maßstäben eher materiell einfache Jugend. 

Mein Vater stammt aus Pommern und wurde nach dem Krieg mit Mutter und Geschwistern aus seiner Heimat vertrieben, während mein Grossvater in Gefangenschaft war. Er selbst blieb im 'Pott'  hängen und wurde Bergmann, während es den Rest der Familie ins Schwabenland verschlagen hatte. 

Er folgte seiner Familie nach und arbeitete dann in der OGUS, der Oberndorfer Gardinen und Spitzenweberei, am Band. Er war also Ende der fünfziger Jahre so etwas wie ein Zuwanderer der damaligen Zeit. 

Bei der Arbeit lernte er meine Mutter kennen, die mit ihren Eltern und ihren fünf Brüdern in Oberndorf lebte. 

Obwohl mein Vater, mit Bart und Tätowierung, nicht dem damaligen Bild des gewünschten Schwiegersohn entsprach heiraten die Beiden. 

Meine Mutter hatte einen, in der Jugend erworbenen, schweren Herzklappen-Fehler bei dem ihr die Ärzte nur eine kurze Lebenserwartung voraussagten und ihr auch von einer Schwangerschaft dringend abrieten.

Gegen alle Empfehlung kam ich dann im April 1962, als absolutes Wunschkind zur Welt, behütet und umsorgt von meinen Eltern, Onkeln und Tanten und überhaupt einer großen Familie.
 
Behütet so sehr, dass ich mich als Einzelkind früh entscheiden musste, zwischen Auflehnung gegen die mütterliche Fürsorge oder dem Leben als ausgewachsenes, sogenanntes 'Muttersöhnchen'. 

So lernte ich schon früh, für meine Belange zu kämpfen und zu begreifen, dass nichts von alleine kommt, nichts selbstverständlich ist. Allerdings konnte ich dabei der Liebe meiner Eltern immer sicher sein, und wuchs mit einem festen Wertegerüst auf, das mich bis heute begleitet hat.

Nach der Grundschule kam dann das Gymnasium, danach das BWL Studium, Heirat, die Geburt meines Sohnes Tobias, erste, damals noch nicht erkannte MS Symptome, Scheidung, schneller beruflicher Erfolg, diverse Beziehungen, noch mehr Erfolg, mit 30 jüngster Prokurist einer Aktiengesellschaft in der Region, Dozent, Diagnose MS 1994, weiterhin siebzig Stunden Wochen, 1999 freiwilliger Ausstieg aus dem Berufsleben, 2000 erwerbsunfähig berentet.... 

Aber Halt. Das geht Alles zu schnell. 

Da es hier ja in erster Linie um die MS gehen soll steige ich am besten dort ein, wo ich aus heutiger Sicht die ersten Symptome einer MS hatte.
Mir selbst waren diese damals allerdings weder als solche bewusst, noch wäre ich auf die Idee gekommen, sie ärztlich abklären zu lassen. 

Multiple Sklerose war mir gänzlich unbekannt und ich hatte auch nie einen Grund dafür gesehen diesen Umstand zu ändern.
Für körperliche Auffälligkeiten, die es durchaus immer wieder  gab, machte ich einfach die Geschwindigkeit und Intensität meines Lebens verantwortlich, bestätigt dadurch, dass diese Symptome in der Regel genauso schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. 

Mein Sohn war ein paar Wochen alt, als meine damalige Frau für uns das Badewasser einfließ, weil ich mit dem Kleinen baden wollte.
Also setzte ich mich, mit ihm auf den Arm, auf den Wannenrand, um dann mit ihm, platschend in das wenige Wasser hinein zu rutschen, was er sehr liebte. 

Kaum spührte ich das Wasser an meiner Haut, riss ich den Kleinen nach oben und schrie "Bist du denn wahnsinnig, das Wasser ist ja kochend heiss..."
Meine Frau kam natürlich sofort angerannt und prüfte ihrerseits die Wassertemperatur.
"was Schreist du denn so rum, das Wasser ist doch nur lauwarm. "

Dies ist eine der ersten Erfahrungen, die ich heute der damals schon erkennbaren MS zuordnen würde. 

In den folgenden Jahren häuften sich solche und ähnliche Ergebnisse, bis hin zu Anfällen die mich völlig bewegungslos, nur mit einem durch den ganzen Körper strömenden, beklemmenden Angstgefühl auf dem Boden liegen ließen, und dies in den unterschiedlichsten Situationen.
Egal ob während einer längeren Autofahrt oder während einer heißen Nacht mit einer neuen Bekanntschaft...  die Anfälle und seltsamen Symptome wurden so häufig,  und die Umstände so bizarr, dass ich sie schließlich nicht mehr ignorieren konnte. 

Die Besuche beim befreundeten Hausarzt, die Belastungs-EKG's und Blutwerte, ergaben allerdings, dass sich, ausser 'fit zu sein', eben nichts ergeben hatte. 

"Stress in Beruf und Privatleben " war die zusammenfassende Diagnose.
... Und die kam mir so sehr entgegen, dass ich sie gar nicht anzweifeln wollte. 

So weit es mir der Beruf erlaubte, machte ich Sport und genoss mein Leben in vollen Zügen.

" Carpe Diem"...  Ich hasse diesen, völlig überbeantspruchten Spruch, doch wenn er auf eine Lebensführung passte, dann auf meine.
Ich hatte eine Möglichkeit gefunden, 12 Stunden zu arbeiten, zwei Stunden zu squashen, vier Stunden zu feiern, drei Stunden Sex zu haben und dann noch 6 Stunden zu schlafen und das an einem Tag. 

Ich war seit drei Jahren mit einer sehr attraktiven Frau zusammen und wir teilten die Freude an den selben Dingen. 

Selbst wenn ich schon MS hatte, hätte mir die Zeit dafür gefehlt sie zu bemerken.
Allerdings musste ich immer wieder feststellen, dass sich vor allem mein rechtes Bein seltsam verhielt. Das Knie schmerzte beim Sport und es gab so eine, schwer definierbare, 'Hemmung'  des Beines unter Belastung.
Manchmal setzte sich der Fuss einfach nicht dorthin wo er es sollte, und beim Abschwingen auf der Piste, streckte sich das Bein so abrupt , dass ich oft einfach in Richtung Tal umfiel. 

Beim Orthopäden, den ich daraufhin aufsuchte, wurde ein artroskopischer Eingriff durchgeführt und schon nach wenigen Wochen, waren die Schmerzen im Knie auch tatsächlich verschwunden. 

Allerdings verhielt sich mein Bein nach wie vor, eigentlich  mehr als zuvor , ebenso seltsam wie vor dem Eingriff.
Bei einer Nachsorgeuntersuchung konfrontierte ich den Orthopäden mit diesem, für mich natürlich unbefriedigenden Zustand, woraufhin er mir mit besorgtem Blick empfahl, einen Neurologen aufzusuchen. 

Neurologe? Nervenarzt?
was sollte das denn werden? 

Zwischen zwei Besprechungen in der Firma, hatte ich ein paar Tage später noch Zeit und lies meine Sekretärin einen Termin beim nächstliegenden Neurologen vereinbaren.
Eine Stunde musste dafür ja reichen, so dachte ich damals.

Ihr könnt euch sicher denken, was folgte. Die Untersuchungen dauerten natürlich viel länger, als ich mir vorgestellt hatte und bei der abschließenden Besprechung, wollte der Neurologe keine Diagnose stellen, mit dem Hinweis, dass er erst noch eine Kernspinn Tomographie gemacht haben wolle. 

Da ich mich aber mit so einer Aussage nicht abfinden wollte, bohrte ich so lange nach, bis er schließlich meinte, ich hätte voraussichtlich eine Entzündung im Gehirn.

Mit dieser Information fuhr ich zurück ins Büro, grübelnd, was ich wohl damit anfangen sollte. 

Entzündung im Gehirn... 

Wie musste ich mir das vorstellen und welche Auswirkungen hat sowas? 

Nachdem eine Besprechung mit  einigen Banken erledigt war, kam das Gespräch mit meinem Vorstand auf meinem Arztbesuch und was dabei heraus gekommen war. Ich erzählte es ihm, da wir ein wirklich gutes Verhältnis hatten.

Er bot mir daraufhin sofort an, einen mit ihm befreundeten Neurologen am Klinikum Hamburg anzurufen, was ich natürlich auch sofort tat.
Eine halbe Stunde später, hatte ich einen Termin beim Chefarzt der neurologischen Abteilung eines Lehrkrankenhauses der Universitätsklinik Freiburg, zur Diagnosestellung. 

Drei Tage, Anamnese, MRT, Lumbalpunktion...  und schließlich das Ergebnis: Multiple Skerose. 

Ich kann mich noch recht gut daran erinnern, wie Professor Brüderl an meinem Bett saß, ich mit wahnsinnigen Kopfschmerzen von der Lumbalpunktion, die ich mir einfing weil ich drei Stunden nach der Punktion eine Zigarette rauchen musste, um mir die Diagnose mitzuteilen und zu erklären. 

Ich bin ihm noch heute dankbar für die offenen Worte als er mir erklärte wie die damals bekannten Zusammenhänge und vor allem die Prognosen aussahen. 

Zusammengefasst erklärte er mir, dass es sich bei einer MS voraussichtlich um eine Autoimmunkrankheit handele, bei der das eigene Immunsystem im Rückenmark und Gehirn die Myelinscheiden, also die Isolation der Nerven , angreifen würde und dabei entzündliche Prozesse entstünden. 


Solche Prozesse, auch Schübe genannt, würden sich im besten Fall wieder vollständig zurückbilden, im Normalfall aber nur teilweise, was dann in bleibenden Einschränkungen resultierenden könne. 

"Stellen Sie sich vor, in einem Computer gibt es einen Kabelbrand. Wenn der Brand dann gelöscht ist, muss man neue Kabel einziehen, dann läuft der Computer wieder. "
" Naja, das kommt aber darauf an, wo es gebrannt hat "
" Stimmt, und manchmal geht dann der Drucker nicht mehr, oder der Bildschirm "
"... oder die Festplatte, oder der Prozessor..."
"...  stimmt leider auch... "

So, da wusste ich nun also woran ich war, auch wenn, oder gerade weil,  die Erklärung sehr bildhaft war. 

Dr. Brüderl erklärte mir, dass MS nicht zwangsläufig ein Leben im Rollstuhl bedeuten würde und die durchschnittliche Lebenserwartung nur geringfügig kürzer wäre als bei Gesunden. 

Na Toll... nicht zwangsläufig...
Nur geringfügig... 

Ich kannte solche beschwichtigenden Parolen und wusste, was sie eigentlich bedeuteten...  
ziemlich sicher...  deutlich... 

"Man kann also an MS sterben? " fragte ich ihn abschließend
Er überlegte eine Zeit, was er wohl am besten antworten sollte. 

" ok, " sagte ich "Ihr Zögern ist mir Antwort genug" 

Zum damaligen Zeitpunkt, beschränken sich die Therapien zur MS noch fast ausschließlich auf symptomatische Therapien. 

Das Mittel der ersten Wahl war, und das hat sich ja bis Heute nicht geändert, Cortison.

Die folgenden Tage waren gefüllt mit Tränen, Schock, Sorgenfalten auf geliebten Gesichtern. 

Selbst noch nicht in der Lage die Nachricht verarbeitet zu haben, die so plötzlich in mein Leben hereingebrochen war, informierte ich mein Umfeld, gerade mal so weit, wie ich es für nötig hielt. 

Einerseits war mir klar, dass es keinen Sinn macht, Tatsachen zu verschweigen, andererseits musste ich erst einmal selbst wissen wie ich mit der neuen Situation umgehen sollte.



Vor allem im Beruf wusste ich, dass ein gutes Mass an Vorsicht nicht schaden konnte. In meiner Stellung gab es genügend Neider, die sowieso schon darauf lauerten , dass ich eine Schwäche zeigte. 

Die folgenden Wochen verbrachte ich damit mich über die Krankheit zu informieren und mein direktes Umfeld zu beruhigen. 

Besonders meine Freundin reagierte mit Verleugnung und wollte sich nicht mit meiner neuen Situation ausseinandersetzen.

Und wie ging es mir selbst? Hmmm... mein gesamtes Lebensbild kamn ins wanken. Durch die Krankheit meiner Mutter war ich von frühester Jugend mit Krankheit konfrontiert.
Doch bisher stand ich auf der anderen Seite, war derjenige der half und nicht der dem geholfen werden musste.
Bisher konnte ich alles in meinem Leben, was nicht meinen Zielen entsprach, mit meinen eigenen Entscheidungen beeinflussen, mit meiner eigenen Kraft beeinflussen.

Oft sagte ich mir daher selbst, dann wenn mal etwas zuwieder lief "was solls, Hauptsache gesund...", ... und damit sollte es nun zu Ende sein.

Ich muss zugeben, es wollte mir nur schwer gelingen, diese Veränderungt für mich anzunehmen. Es musste doch möglich sein 'Etwas' zu tun, egal was, aber irgendetwas.

Zwischenzeitlich hatte ich mir in Oberndorf einen Neurologen gesucht, der mich mit Azathioprin zur Immunsuppression und Adrenocorticotropin, kurz ACTH, zur Anregung der körpereigenen Cortisonproduktiuon, behandelte.

Allerdings hatte ich innerhalb kürzester Zeit mehrere schwere Schübe die sich vor allem in einer Verschlechterung der Gehfähigkeit und in extremen Doppelbildern zeigten.

Während sich die Sehnerventzündung durch Cortisongabe fast vollstädig zurück bildete, blieben die Symptome in den Beinen fast vollständig erhalten.

Teilweise robbte ich auf den Ellenbogen auf die Toilette und zog mich mit letzter Kraft an der Kloschüssel nach oben, immer in der Hoffnung, dass ich noch rechtzeitig zum Sitzen kam.

In dieser Zeit kontzentrierte sich mein gesammtes Leben mehr oder weniger darauf, mit all den Neuerungen irgendwie klar zu kommen, nicht ohne dass alle anderen Lebensbereiche plötzlich zu kurz kamen.

Dies belastete meinen Beruf, aber noch mehr meine Beziehung. Plötzlich war ich nicht mehr ständig und immer präsent, plötzlich nicht mehr Willens und in der Lage ein Leben zu führen, das mir alle Kraft abverlangte.

Im Beruf gelang es mir die Strukturen so zu verändern, wie es die neuen Gegebenheiten verlangten. Die Vorstandschaft der Firma stellte sich vorbehaltlos hinter mich und gab mir dies sogar schriftlich.

Privat bemerkte ich aber, wie sich die Dinge immer mehr veränderten. Ich stellte mir selbst die Frage, inwieweit man einen Partner, der einen in einer völlig anderen Lebenssituation kennen gelernt hatte, mit einer solchen Krankheit belasten darf.

Wo fängt hier der Egoismus an und ist es erlaubt, hier egoistisch zu sein?

Schließlich hat der Partner ja die Wahl, die man selbst nicht hat, ein Leben mit einer schweren Krankheit zu führen.

Mein Neurologe setzte sich dann dafür ein, dass ich die 1995 noch nicht in Deutschland zugelassenen Betainterferone bekam und ich lies auch meine Verbindungen spielen.

Anfang 1996 begann ich dann mit der Therapie und spritze mich alle drei Tage... 9 Monate lang.
Es gab damals noch keine wirklichen Erfahrungen mit diesem zu der Zeit als Heilsbringend empfundenen neuen Medikament.
Man sprach aber davon, dass es die Schubrate bei einem drittel der Patienten um ein drittel reduzieren solle.

In meinem Fall waren die Nebenwirkungen allerdings imens. Am Folgetag der Injektion stellte sich das Gefühl einer schweren Grippe ein, am zweiten Tag war ich entweder aggressiv oder depressiv, bevor ich am dritten, recht normalen Tag wieder spritzen musste.

Meine Umwelt begann sich schon von mir zurück zu ziehen und auch meine Beziehung kam immer mehr ins Wanken. Ich glaube allerdings, dass ich es mit mir selbst auch nicht ausgehalten hätte, so dass ich die Therapie dann abbrach.

Es war eine einfache mathematische Rechnung, zwei drittel des Lebens wegzuwerfen für die drittel Chance nur noch einen von drei Schüben zu bekommen... das war für mich auf Dauer nicht einzusehen.

1997 empfahl mir dann mein damaliger Hausarzt einen Aufenthalt in der Marianne-Strauss-Klinik in Kempfenhausen am Starnberger See.

Mit gemischten Gefühlen vereinbarte ich einen Termin und lies mich von meiner Lebensgefährtin wenige Tage später in die MS-Klinik fahren. Es sollte der Erste von inzwischen fast 20 Aufenthalten dort werden.

Die Erinnerung an die ersten Eindrücke dort verschwimmt heute zusehends. Nur der Gesichtsausdruck meiner Freundin hat sich deutlich in mein Gedächtnis eingeprägt.

Eine Mischung aus Angst und blankem Entsetzen, angesichts der vielen Rollstulfahrer, der an Beinen befestigten Urinbeutel, der mit verwaschener Stimme redenden Patienten, die teils attaktisch in Pflegerollstühlen saßen...

Wir tranken in der Cafeteria noch einen Cappuccino und ich verabschiedete sie nach Hause, ... für die nächsten sieben Wochen.

Die erten Tage in der Klinik waren mit Untersuchungen voll belegt, was ich aber als angenehm empfand, musste ich mich doch selbst erst einfinden in diese neue Welt. Und dass es eine ganz eigene Welt war, wurde mir schnell klar, eine Welt die nicht meine war und die es doch werden würde... irgendwie,... irgendwann...

Etwa nach einer Woche, kam Chefarzt Dr.König wie jeden Tag zur Visite auf mein Zimmer.
Ich sass, auf ihn wartend auf meinem Bett und hatte Unterlagen ausgebreitet, die ich mir aus der Firma zusenden gelassen hatte.

Nach ersten Worten über die Ergebnisse der Untersuchungen lehnte sich Dr. König in seinem Stuhl zurück und begann vorsichtig das Thema auf einen anderen Punkt zu lenken.

"H.Beckmann, wir konnten uns die letzten Tage ja schon etwas kennenlernen, darum möchte ich mir jetzt erlauben sie auf etwas persönliches anzusprechen. Ich hatte gesehen wie sie letzte Woche ankamen und auch wer sie gebracht hat. Eine sehr schöne Frau, lebenslustig, wie es den Anschein hatte"

Ich sagte nichts darauf, gespannt wie das Gespräch weiter gehen sollte.

"Ich will ihnen bstimmt nicht zu nahe treten, aber die Erfahrungen die ich die letzten Jahre machen musste zeigen..." er zögerte etwas "... zeigen, dass eine Krankheit wie die MS, für Beziehungen oft tötlich ist, vor allem dann, wenn der Partner sehr aktiv und lebenslustig ist. Ich weiss auch, wie schwer es dann oft ist, wenn..."

ich merkte, dass er nach den richtigen, nicht verletzend wirkenden Worten suchte.

"... wenn der Partner nicht mit der Situation zurecht kommt und die Beziehung beendet" führte ich deshalb seinen angefangenen Satz zu Ende.

Ich war sehr überrascht wie treffend dieser Mann meine Sitiatiuon schon nach wenigen Sekunden richtig eingeschätzt hatte.
Er hätte genauso gut sagen können "Eine Frau die so aussieht, wird sich über kurz oder lang überlegen, ob sie mit einem MS Patienten zusammenbleibt, der ihr gesamtes weiteres Leben einschränkt oder ob sie sich einer der vielen Alternatieven zuwendet, die sich ihr sicher zu Hauf bieten"

Ich war schon immer zu sehr Realist, um das nicht selbst schon erkannt zu haben.

In den folgenden Jahren würde ich noch oft zu sehen und manchmal selbst zu spüren bekommen, wie sehr sich das schöne Bild einer in Gänseblühmchen gebetteten heilen Welt, von der harten Realität unterscheidet.

...

wird fortgesetzt