Dienstag, 28. Juli 2015

Kabelbrand im Zentralrechner

Gute Vorsätze sind ja so eine Sache. Erst nimmt man sie sich, um sie dann auch wieder über Bord zu werfen. 

Mein guter Vorsatz beim Start dieses Bloggs war es, euch mit meiner Krankheits- und Lebensgeschichte zu verschonen. 

Tja, Pech gehabt, jetzt kommt sie doch. 

Der Grund für diesen Sinneswandel ist, dass ich die letzten Wochen wieder vermehrt Kontakt mit Menschen bekommen habe, die erst vor kurzem die Diagnose Multiple Sklerose bekommen haben, so wie ich vor...  mittlerweile 21 Jahren.

Erschreckend, wie lange das schon her ist. Fast die Hälfte meiner Lebenszeit ist inzwischen mit MS belegt. 

Also bleibt euch jetzt nur meine höchst eigene Geschichte zu hören, oder es genauso einfach zu lassen, indem ihr diese Seite verlasst. 

Ist doch toll, wieviel Freiheit man hat. 

In diesen zwanzig Jahren habe ich naturgemäß viele Mitpatienten kennen gelernt, und damit auch, wie unterschiedlich mit der Diagnose und der Krankheit MS umgegangen wird. 

Jeder geht dabei seinen eigenen Weg und das ist auch gut so.
Was ich euch hier schreiben kann ist nur meine persönliche Geschichte, aus der ihr, so ihr denn wollt, eure eigenen Schlüsse ziehen könnt.
Ich erhebe dabei keinerlei Anspruch darauf, dass meine Geschichte eine typische ist,  denn dafür war ich selbst unter Gesunden wohl immer zu untypisch. 

Ausserdem hat sowieso jeder Mensch seine eigene Geschichte, mit Höhen und mit Tiefen, mit Rosen und mit Dornen. 

Jeder kämpft mit seinen eigenen Dämonen und was für den einen Wasser ist für den nächsten Feuer.
Doch vielleicht kann genau deshalb , für den Einen oder Anderen, meine Geschichte Denkanstoss für den eigenen Umgang mit einer solch lebensverändernden Situation geben. 

Natürlich werde ich euch nicht meine ganze Lebensgeschichte erzählen. Nicht etwa, weil ich denke ich würde euch damit langweilen, sondern, weil euch vieles einfach nichts angeht. 

Andererseits muss ich ein paar Dinge erwähnen, da diese mein Handeln an sich und meinen Umgang mit der Krankheit im Speziellen stark beeinflusst haben.

Deshalb fange ich einfach mal ganz von vorne an. 

Gebohren und aufgewachsen in den Sechzigern und Siebzigern in Oberndorf am Neckar, hatte ich eine unbeschwerte, wenn auch in heutigen Maßstäben eher materiell einfache Jugend. 

Mein Vater stammt aus Pommern und wurde nach dem Krieg mit Mutter und Geschwistern aus seiner Heimat vertrieben, während mein Grossvater in Gefangenschaft war. Er selbst blieb im 'Pott'  hängen und wurde Bergmann, während es den Rest der Familie ins Schwabenland verschlagen hatte. 

Er folgte seiner Familie nach und arbeitete dann in der OGUS, der Oberndorfer Gardinen und Spitzenweberei, am Band. Er war also Ende der fünfziger Jahre so etwas wie ein Zuwanderer der damaligen Zeit. 

Bei der Arbeit lernte er meine Mutter kennen, die mit ihren Eltern und ihren fünf Brüdern in Oberndorf lebte. 

Obwohl mein Vater, mit Bart und Tätowierung, nicht dem damaligen Bild des gewünschten Schwiegersohn entsprach heiraten die Beiden. 

Meine Mutter hatte einen, in der Jugend erworbenen, schweren Herzklappen-Fehler bei dem ihr die Ärzte nur eine kurze Lebenserwartung voraussagten und ihr auch von einer Schwangerschaft dringend abrieten.

Gegen alle Empfehlung kam ich dann im April 1962, als absolutes Wunschkind zur Welt, behütet und umsorgt von meinen Eltern, Onkeln und Tanten und überhaupt einer großen Familie.
 
Behütet so sehr, dass ich mich als Einzelkind früh entscheiden musste, zwischen Auflehnung gegen die mütterliche Fürsorge oder dem Leben als ausgewachsenes, sogenanntes 'Muttersöhnchen'. 

So lernte ich schon früh, für meine Belange zu kämpfen und zu begreifen, dass nichts von alleine kommt, nichts selbstverständlich ist. Allerdings konnte ich dabei der Liebe meiner Eltern immer sicher sein, und wuchs mit einem festen Wertegerüst auf, das mich bis heute begleitet hat.

Nach der Grundschule kam dann das Gymnasium, danach das BWL Studium, Heirat, die Geburt meines Sohnes Tobias, erste, damals noch nicht erkannte MS Symptome, Scheidung, schneller beruflicher Erfolg, diverse Beziehungen, noch mehr Erfolg, mit 30 jüngster Prokurist einer Aktiengesellschaft in der Region, Dozent, Diagnose MS 1994, weiterhin siebzig Stunden Wochen, 1999 freiwilliger Ausstieg aus dem Berufsleben, 2000 erwerbsunfähig berentet.... 

Aber Halt. Das geht Alles zu schnell. 

Da es hier ja in erster Linie um die MS gehen soll steige ich am besten dort ein, wo ich aus heutiger Sicht die ersten Symptome einer MS hatte.
Mir selbst waren diese damals allerdings weder als solche bewusst, noch wäre ich auf die Idee gekommen, sie ärztlich abklären zu lassen. 

Multiple Sklerose war mir gänzlich unbekannt und ich hatte auch nie einen Grund dafür gesehen diesen Umstand zu ändern.
Für körperliche Auffälligkeiten, die es durchaus immer wieder  gab, machte ich einfach die Geschwindigkeit und Intensität meines Lebens verantwortlich, bestätigt dadurch, dass diese Symptome in der Regel genauso schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. 

Mein Sohn war ein paar Wochen alt, als meine damalige Frau für uns das Badewasser einfließ, weil ich mit dem Kleinen baden wollte.
Also setzte ich mich, mit ihm auf den Arm, auf den Wannenrand, um dann mit ihm, platschend in das wenige Wasser hinein zu rutschen, was er sehr liebte. 

Kaum spührte ich das Wasser an meiner Haut, riss ich den Kleinen nach oben und schrie "Bist du denn wahnsinnig, das Wasser ist ja kochend heiss..."
Meine Frau kam natürlich sofort angerannt und prüfte ihrerseits die Wassertemperatur.
"was Schreist du denn so rum, das Wasser ist doch nur lauwarm. "

Dies ist eine der ersten Erfahrungen, die ich heute der damals schon erkennbaren MS zuordnen würde. 

In den folgenden Jahren häuften sich solche und ähnliche Ergebnisse, bis hin zu Anfällen die mich völlig bewegungslos, nur mit einem durch den ganzen Körper strömenden, beklemmenden Angstgefühl auf dem Boden liegen ließen, und dies in den unterschiedlichsten Situationen.
Egal ob während einer längeren Autofahrt oder während einer heißen Nacht mit einer neuen Bekanntschaft...  die Anfälle und seltsamen Symptome wurden so häufig,  und die Umstände so bizarr, dass ich sie schließlich nicht mehr ignorieren konnte. 

Die Besuche beim befreundeten Hausarzt, die Belastungs-EKG's und Blutwerte, ergaben allerdings, dass sich, ausser 'fit zu sein', eben nichts ergeben hatte. 

"Stress in Beruf und Privatleben " war die zusammenfassende Diagnose.
... Und die kam mir so sehr entgegen, dass ich sie gar nicht anzweifeln wollte. 

So weit es mir der Beruf erlaubte, machte ich Sport und genoss mein Leben in vollen Zügen.

" Carpe Diem"...  Ich hasse diesen, völlig überbeantspruchten Spruch, doch wenn er auf eine Lebensführung passte, dann auf meine.
Ich hatte eine Möglichkeit gefunden, 12 Stunden zu arbeiten, zwei Stunden zu squashen, vier Stunden zu feiern, drei Stunden Sex zu haben und dann noch 6 Stunden zu schlafen und das an einem Tag. 

Ich war seit drei Jahren mit einer sehr attraktiven Frau zusammen und wir teilten die Freude an den selben Dingen. 

Selbst wenn ich schon MS hatte, hätte mir die Zeit dafür gefehlt sie zu bemerken.
Allerdings musste ich immer wieder feststellen, dass sich vor allem mein rechtes Bein seltsam verhielt. Das Knie schmerzte beim Sport und es gab so eine, schwer definierbare, 'Hemmung'  des Beines unter Belastung.
Manchmal setzte sich der Fuss einfach nicht dorthin wo er es sollte, und beim Abschwingen auf der Piste, streckte sich das Bein so abrupt , dass ich oft einfach in Richtung Tal umfiel. 

Beim Orthopäden, den ich daraufhin aufsuchte, wurde ein artroskopischer Eingriff durchgeführt und schon nach wenigen Wochen, waren die Schmerzen im Knie auch tatsächlich verschwunden. 

Allerdings verhielt sich mein Bein nach wie vor, eigentlich  mehr als zuvor , ebenso seltsam wie vor dem Eingriff.
Bei einer Nachsorgeuntersuchung konfrontierte ich den Orthopäden mit diesem, für mich natürlich unbefriedigenden Zustand, woraufhin er mir mit besorgtem Blick empfahl, einen Neurologen aufzusuchen. 

Neurologe? Nervenarzt?
was sollte das denn werden? 

Zwischen zwei Besprechungen in der Firma, hatte ich ein paar Tage später noch Zeit und lies meine Sekretärin einen Termin beim nächstliegenden Neurologen vereinbaren.
Eine Stunde musste dafür ja reichen, so dachte ich damals.

Ihr könnt euch sicher denken, was folgte. Die Untersuchungen dauerten natürlich viel länger, als ich mir vorgestellt hatte und bei der abschließenden Besprechung, wollte der Neurologe keine Diagnose stellen, mit dem Hinweis, dass er erst noch eine Kernspinn Tomographie gemacht haben wolle. 

Da ich mich aber mit so einer Aussage nicht abfinden wollte, bohrte ich so lange nach, bis er schließlich meinte, ich hätte voraussichtlich eine Entzündung im Gehirn.

Mit dieser Information fuhr ich zurück ins Büro, grübelnd, was ich wohl damit anfangen sollte. 

Entzündung im Gehirn... 

Wie musste ich mir das vorstellen und welche Auswirkungen hat sowas? 

Nachdem eine Besprechung mit  einigen Banken erledigt war, kam das Gespräch mit meinem Vorstand auf meinem Arztbesuch und was dabei heraus gekommen war. Ich erzählte es ihm, da wir ein wirklich gutes Verhältnis hatten.

Er bot mir daraufhin sofort an, einen mit ihm befreundeten Neurologen am Klinikum Hamburg anzurufen, was ich natürlich auch sofort tat.
Eine halbe Stunde später, hatte ich einen Termin beim Chefarzt der neurologischen Abteilung eines Lehrkrankenhauses der Universitätsklinik Freiburg, zur Diagnosestellung. 

Drei Tage, Anamnese, MRT, Lumbalpunktion...  und schließlich das Ergebnis: Multiple Skerose. 

Ich kann mich noch recht gut daran erinnern, wie Professor Brüderl an meinem Bett saß, ich mit wahnsinnigen Kopfschmerzen von der Lumbalpunktion, die ich mir einfing weil ich drei Stunden nach der Punktion eine Zigarette rauchen musste, um mir die Diagnose mitzuteilen und zu erklären. 

Ich bin ihm noch heute dankbar für die offenen Worte als er mir erklärte wie die damals bekannten Zusammenhänge und vor allem die Prognosen aussahen. 

Zusammengefasst erklärte er mir, dass es sich bei einer MS voraussichtlich um eine Autoimmunkrankheit handele, bei der das eigene Immunsystem im Rückenmark und Gehirn die Myelinscheiden, also die Isolation der Nerven , angreifen würde und dabei entzündliche Prozesse entstünden. 


Solche Prozesse, auch Schübe genannt, würden sich im besten Fall wieder vollständig zurückbilden, im Normalfall aber nur teilweise, was dann in bleibenden Einschränkungen resultierenden könne. 

"Stellen Sie sich vor, in einem Computer gibt es einen Kabelbrand. Wenn der Brand dann gelöscht ist, muss man neue Kabel einziehen, dann läuft der Computer wieder. "
" Naja, das kommt aber darauf an, wo es gebrannt hat "
" Stimmt, und manchmal geht dann der Drucker nicht mehr, oder der Bildschirm "
"... oder die Festplatte, oder der Prozessor..."
"...  stimmt leider auch... "

So, da wusste ich nun also woran ich war, auch wenn, oder gerade weil,  die Erklärung sehr bildhaft war. 

Dr. Brüderl erklärte mir, dass MS nicht zwangsläufig ein Leben im Rollstuhl bedeuten würde und die durchschnittliche Lebenserwartung nur geringfügig kürzer wäre als bei Gesunden. 

Na Toll... nicht zwangsläufig...
Nur geringfügig... 

Ich kannte solche beschwichtigenden Parolen und wusste, was sie eigentlich bedeuteten...  
ziemlich sicher...  deutlich... 

"Man kann also an MS sterben? " fragte ich ihn abschließend
Er überlegte eine Zeit, was er wohl am besten antworten sollte. 

" ok, " sagte ich "Ihr Zögern ist mir Antwort genug" 

Zum damaligen Zeitpunkt, beschränken sich die Therapien zur MS noch fast ausschließlich auf symptomatische Therapien. 

Das Mittel der ersten Wahl war, und das hat sich ja bis Heute nicht geändert, Cortison.

Die folgenden Tage waren gefüllt mit Tränen, Schock, Sorgenfalten auf geliebten Gesichtern. 

Selbst noch nicht in der Lage die Nachricht verarbeitet zu haben, die so plötzlich in mein Leben hereingebrochen war, informierte ich mein Umfeld, gerade mal so weit, wie ich es für nötig hielt. 

Einerseits war mir klar, dass es keinen Sinn macht, Tatsachen zu verschweigen, andererseits musste ich erst einmal selbst wissen wie ich mit der neuen Situation umgehen sollte.



Vor allem im Beruf wusste ich, dass ein gutes Mass an Vorsicht nicht schaden konnte. In meiner Stellung gab es genügend Neider, die sowieso schon darauf lauerten , dass ich eine Schwäche zeigte. 

Die folgenden Wochen verbrachte ich damit mich über die Krankheit zu informieren und mein direktes Umfeld zu beruhigen. 

Besonders meine Freundin reagierte mit Verleugnung und wollte sich nicht mit meiner neuen Situation ausseinandersetzen.

Und wie ging es mir selbst? Hmmm... mein gesamtes Lebensbild kamn ins wanken. Durch die Krankheit meiner Mutter war ich von frühester Jugend mit Krankheit konfrontiert.
Doch bisher stand ich auf der anderen Seite, war derjenige der half und nicht der dem geholfen werden musste.
Bisher konnte ich alles in meinem Leben, was nicht meinen Zielen entsprach, mit meinen eigenen Entscheidungen beeinflussen, mit meiner eigenen Kraft beeinflussen.

Oft sagte ich mir daher selbst, dann wenn mal etwas zuwieder lief "was solls, Hauptsache gesund...", ... und damit sollte es nun zu Ende sein.

Ich muss zugeben, es wollte mir nur schwer gelingen, diese Veränderungt für mich anzunehmen. Es musste doch möglich sein 'Etwas' zu tun, egal was, aber irgendetwas.

Zwischenzeitlich hatte ich mir in Oberndorf einen Neurologen gesucht, der mich mit Azathioprin zur Immunsuppression und Adrenocorticotropin, kurz ACTH, zur Anregung der körpereigenen Cortisonproduktiuon, behandelte.

Allerdings hatte ich innerhalb kürzester Zeit mehrere schwere Schübe die sich vor allem in einer Verschlechterung der Gehfähigkeit und in extremen Doppelbildern zeigten.

Während sich die Sehnerventzündung durch Cortisongabe fast vollstädig zurück bildete, blieben die Symptome in den Beinen fast vollständig erhalten.

Teilweise robbte ich auf den Ellenbogen auf die Toilette und zog mich mit letzter Kraft an der Kloschüssel nach oben, immer in der Hoffnung, dass ich noch rechtzeitig zum Sitzen kam.

In dieser Zeit kontzentrierte sich mein gesammtes Leben mehr oder weniger darauf, mit all den Neuerungen irgendwie klar zu kommen, nicht ohne dass alle anderen Lebensbereiche plötzlich zu kurz kamen.

Dies belastete meinen Beruf, aber noch mehr meine Beziehung. Plötzlich war ich nicht mehr ständig und immer präsent, plötzlich nicht mehr Willens und in der Lage ein Leben zu führen, das mir alle Kraft abverlangte.

Im Beruf gelang es mir die Strukturen so zu verändern, wie es die neuen Gegebenheiten verlangten. Die Vorstandschaft der Firma stellte sich vorbehaltlos hinter mich und gab mir dies sogar schriftlich.

Privat bemerkte ich aber, wie sich die Dinge immer mehr veränderten. Ich stellte mir selbst die Frage, inwieweit man einen Partner, der einen in einer völlig anderen Lebenssituation kennen gelernt hatte, mit einer solchen Krankheit belasten darf.

Wo fängt hier der Egoismus an und ist es erlaubt, hier egoistisch zu sein?

Schließlich hat der Partner ja die Wahl, die man selbst nicht hat, ein Leben mit einer schweren Krankheit zu führen.

Mein Neurologe setzte sich dann dafür ein, dass ich die 1995 noch nicht in Deutschland zugelassenen Betainterferone bekam und ich lies auch meine Verbindungen spielen.

Anfang 1996 begann ich dann mit der Therapie und spritze mich alle drei Tage... 9 Monate lang.
Es gab damals noch keine wirklichen Erfahrungen mit diesem zu der Zeit als Heilsbringend empfundenen neuen Medikament.
Man sprach aber davon, dass es die Schubrate bei einem drittel der Patienten um ein drittel reduzieren solle.

In meinem Fall waren die Nebenwirkungen allerdings imens. Am Folgetag der Injektion stellte sich das Gefühl einer schweren Grippe ein, am zweiten Tag war ich entweder aggressiv oder depressiv, bevor ich am dritten, recht normalen Tag wieder spritzen musste.

Meine Umwelt begann sich schon von mir zurück zu ziehen und auch meine Beziehung kam immer mehr ins Wanken. Ich glaube allerdings, dass ich es mit mir selbst auch nicht ausgehalten hätte, so dass ich die Therapie dann abbrach.

Es war eine einfache mathematische Rechnung, zwei drittel des Lebens wegzuwerfen für die drittel Chance nur noch einen von drei Schüben zu bekommen... das war für mich auf Dauer nicht einzusehen.

1997 empfahl mir dann mein damaliger Hausarzt einen Aufenthalt in der Marianne-Strauss-Klinik in Kempfenhausen am Starnberger See.

Mit gemischten Gefühlen vereinbarte ich einen Termin und lies mich von meiner Lebensgefährtin wenige Tage später in die MS-Klinik fahren. Es sollte der Erste von inzwischen fast 20 Aufenthalten dort werden.

Die Erinnerung an die ersten Eindrücke dort verschwimmt heute zusehends. Nur der Gesichtsausdruck meiner Freundin hat sich deutlich in mein Gedächtnis eingeprägt.

Eine Mischung aus Angst und blankem Entsetzen, angesichts der vielen Rollstulfahrer, der an Beinen befestigten Urinbeutel, der mit verwaschener Stimme redenden Patienten, die teils attaktisch in Pflegerollstühlen saßen...

Wir tranken in der Cafeteria noch einen Cappuccino und ich verabschiedete sie nach Hause, ... für die nächsten sieben Wochen.

Die erten Tage in der Klinik waren mit Untersuchungen voll belegt, was ich aber als angenehm empfand, musste ich mich doch selbst erst einfinden in diese neue Welt. Und dass es eine ganz eigene Welt war, wurde mir schnell klar, eine Welt die nicht meine war und die es doch werden würde... irgendwie,... irgendwann...

Etwa nach einer Woche, kam Chefarzt Dr.König wie jeden Tag zur Visite auf mein Zimmer.
Ich sass, auf ihn wartend auf meinem Bett und hatte Unterlagen ausgebreitet, die ich mir aus der Firma zusenden gelassen hatte.

Nach ersten Worten über die Ergebnisse der Untersuchungen lehnte sich Dr. König in seinem Stuhl zurück und begann vorsichtig das Thema auf einen anderen Punkt zu lenken.

"H.Beckmann, wir konnten uns die letzten Tage ja schon etwas kennenlernen, darum möchte ich mir jetzt erlauben sie auf etwas persönliches anzusprechen. Ich hatte gesehen wie sie letzte Woche ankamen und auch wer sie gebracht hat. Eine sehr schöne Frau, lebenslustig, wie es den Anschein hatte"

Ich sagte nichts darauf, gespannt wie das Gespräch weiter gehen sollte.

"Ich will ihnen bstimmt nicht zu nahe treten, aber die Erfahrungen die ich die letzten Jahre machen musste zeigen..." er zögerte etwas "... zeigen, dass eine Krankheit wie die MS, für Beziehungen oft tötlich ist, vor allem dann, wenn der Partner sehr aktiv und lebenslustig ist. Ich weiss auch, wie schwer es dann oft ist, wenn..."

ich merkte, dass er nach den richtigen, nicht verletzend wirkenden Worten suchte.

"... wenn der Partner nicht mit der Situation zurecht kommt und die Beziehung beendet" führte ich deshalb seinen angefangenen Satz zu Ende.

Ich war sehr überrascht wie treffend dieser Mann meine Sitiatiuon schon nach wenigen Sekunden richtig eingeschätzt hatte.
Er hätte genauso gut sagen können "Eine Frau die so aussieht, wird sich über kurz oder lang überlegen, ob sie mit einem MS Patienten zusammenbleibt, der ihr gesamtes weiteres Leben einschränkt oder ob sie sich einer der vielen Alternatieven zuwendet, die sich ihr sicher zu Hauf bieten"

Ich war schon immer zu sehr Realist, um das nicht selbst schon erkannt zu haben.

In den folgenden Jahren würde ich noch oft zu sehen und manchmal selbst zu spüren bekommen, wie sehr sich das schöne Bild einer in Gänseblühmchen gebetteten heilen Welt, von der harten Realität unterscheidet.

...

wird fortgesetzt
 








 





 

 
 







 

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